Malte Bartsch
Cloud Economy
15. Juli – 18. September 2022

© Der Künstler

Malte Bartsch zeigt in „Cloud Economy“ aktuelle Arbeiten. Apparate, Displays, Aluminiumabgüsse: Ready Mades – in Form, Funktion und Sinn verdrehte Elemente – des vermessenen, technologisierten und von der Wirtschaft bedingten Alltags. Materialien, Formen und Techniken seiner skulpturalen, installativen wie auch partizipativen und prozesshaften Arbeiten sind so aktuell und aus der Realität vertraut wie ihre Themen: Zeit und ihr Erleben; Energie und ihre Speicherung, Umwandlung und Verschwendung; das trügerische Gefühl, der Erde überlegen zu sein; unverbesserlicher Fortschrittsglaube.

Einchecken an der Time Machine: Was an eine digitale Stempeluhr erinnert, quittiert die an der Maschine verbrachte Zeit mit einem Bon, misst aber nicht die individuell in Lohnarbeit – oder in die Firma? „die Wirtschaft“? – investierte –  doch nicht etwa verlorene? – Zeit. Das dezentrale, 2013 begonnene Projekt mit bisher über 60 Time Machines in sechs Ländern sammelt die Gesamtheit der hier verbrachten Zeiten, die nichts zum Zweck hatten als vielleicht genau das: Zeit spüren. Und heißt das nicht auch Zeit generieren? Ich war da, wenn ich es hin gekritzelt habe, Zeit ist vergangen, wenn ihre Spanne gemessen ist: 5 Sekunden habe ich mir hier geholt. „Thermodrucker, Knopf, Person, Zeit, 25 cm × 31 cm × 13 cm“, so die Werkangaben, über 21000 kleine Kunstwerke auf Papier sind bereits an der Time Machine gedruckt worden und in den Besitz der mitwirkenden Person übergegangen.

Weiter durch die Ausstellung: Was in seiner organischen Form an eine Bienenwabe erinnert, ist ein Aluminiumabguss einer Elektroautobatterie. Köstlicher Honig der schnellen, leisen, flexiblen Mobilität, der durchschnittlich acht Jahre lang aus dieser Wabe gequetscht werden kann, immer wieder aufgefüllt mit dem Nektar uralter Öl- und Gasschätze und dem Pollen strahlender Kraftwerke (je grüner der Strom desto mehr Akkuzeitalter bis Blüten und Bienen sich nicht mehr aufladen lassen). Strukturen und Prozesse der Natur sind von jeher Inspiration technischen Fortschritts, der dieses Mal als Teil ihrer Rettung gefeiert werden soll.

Eine drei Meter hohe Agave in Blüte, ein einzigartiger Moment der Vergänglichkeit im Leben der Pflanze, für den sie nach Jahrzehnten all ihre Energie verausgabt, ohne besonderen Nutzen aus der wunderschönen Blüte zu ziehen: für die Ewigkeit fixiert in Aluminium.

Dann ist die Besucherin, der Besucher von Wolken umgeben. Fragmenthaft laufen sie an den Wänden durch LED-Displays aus der Werbetechnik, machen Lust auf mehr, auf das echte Ding, einen ganzen Wolkenhimmel  – ein kleines Stück Romantik in der durchgetakteten Erwerbsarbeit- und Konsumwelt, und tatsächlich: in der Cloud, im Zusammenschluss vieler, in der Gesamtheit all ihrer Informationen lassen sich die Formationen und Bewegungen der Wolken nicht mehr mathematisch-physikalisch voraussagen. Etwas so Fundamentales wie das Wetter entzieht sich trotz Forschung seit Menschengedenken des berechnenden Zugriffs.

Und wie (re)agieren Menschen mit ihren (un)berechenbaren Emotionen? Wie durchschaubar sind die großen, komplexen Zusammenhänge der Wirtschaft jenseits der Bauernregel „Angebot und Nachfrage regeln den Preis“, insbesondere bei immateriellen Gütern? Wie sensibel greifen Systeme – von mikro über öko bis stellar – ineinander?

Zusammenfassend veranschaulicht ein Video einer performativen, auch vergänglich skulpturalen Arbeit das Scheitern der Menschheit trotz Spitzentechnologie und Forschung auf höchstem Niveau: Der Genuss eines Feuerwerks zum Abschluss. Eine Rakete schießt in den schwarzen Himmel, um am höchsten Punkt ihre fantastischen Funken zu sprühen, aber es gelingt nicht. Die Flugbahn ist manipuliert, sie stürzt ab. Immerhin, es knallt und leuchtet dann noch kurz vor dem Aufprall. Wieder und wieder rast die Rakete mit voller Kraft von der Erde los, wieder und wieder stürzt sie ab – gefeiert wird trotzdem; und der Weg ins All ist schließlich die einzige Option!?

Malte Bartsch schafft Zeit, Raum und Anlass zur Reflexion unserer menschlichen Lage. Lösungen oder Antworten suchen wir hier vergeblich: Malte Bartsch teilt unsere Realität, er will und kann nicht belehren. Aber seine Arbeiten formulieren pointiert den Gap zwischen beharrlichem Fortschrittsglauben und permanentem Scheitern, hoffnungslosem Optimismus und Ausweglosigkeit, technischer und wirtschaftlicher Optimierung und Verschlechterung der (Über)Lebensbedingungen für die Menschheit, zwischen unserem vermessenden und vermessenen Über die Erde Erheben und verzweifelter Abhängigkeit von ihr.

Text: Juliane Rogge