Riccardo Previdi
Chrome
1. April – 17. Juli 2011
Lichthaus Arnsberg präsentiert die Ausstellung „Chrome“ des italienischen Künstlers Riccardo Previdi.
Chrom ist ein glänzendes silberweisses Metall. Im Titel kann man gleich Eigenschaften des Lichthauses erkennen – eckige Formen, reflektierendes Glas, silberne Stahlkonstruktion. Doch Previdi ging es bei der Vorbereitung der Ausstellung nicht so sehr um die vorgefundene Architektur, sondern um ein Thema unseres Alltags: das Internet.
Im historischen Kontext des Klosters Wedinghausen ist Internet scheinbar kein fremdes Thema: in einem Interview des Künstlers mit dem Kunsthistoriker Daniel Baumann wird Internet mit der Medienrevolution der Gutenberg-Druckpresse des 15. Jahrhunderts verglichen. Die Verbreitung von Wissen und Information, die früher nur bestimmten privilegierten Kreisen zugänglich war, verändert die Weltanschauung und führt zu einer Art von geistiger Globalisierung. Die Analogie zu Gutenbergs Bibel findet eine weitere Dimension in der Wahrnehmung als Zugang zum einzelnen Menschen und zu seiner Innenwelt.
2008 führt Google Inc. seinen neuen Webbrowser „Chrome“ ein, der schnell an Popularität gewinnt. Eine der Aufgaben des neuen, kostenlosen Programms ist vor allem der Ausbau des „Cloud Computing“ wie z.B. virtuelle Software und Datenspeicherung über ein Netzwerk anzubieten. Die Nutzungsbedingungen erlauben Chrome, diverse Informationen der Kunden zu speichern und an Google zu senden. Somit verblassen persönliche Einstellungen und Daten gewissermaßen in einer „Wolke“. Für die neue Version des Programms wird aktuell weiterhin breit und weit geworben, wobei nicht nur der Titel „Chrome“, sondern auch die Grundfarben von Google – Blau, Rot, Gelb und Grün – sich im Gedächtnis des Künstlers durchdrängen und in der Form einer Lichtinstallation materialisieren.
Popkultur, Design und Medien sind wichtige Inspirationsquellen für Previdi, die er ästhetisch sowie inhaltlich hinterfragt und weiterentwickelt. Es ist jedoch schwer zu erkennen, ob den Künstler mehr die kritische oder formale Auseinandersetzung mit dem Alltag beschäftigt, da er sowie in der Analyse wie in der Formgebung Leidenschaft zuweist. Seine Ausstellung im Lichthaus Arnsberg besteht aus drei Elementen: ein schwarzes Quadrat auf der Glasfassade; eine Installation aus Gitternetz, Bild und Neons; sowie „Bacterio“ – eine hängende Folie mit bedrucktem Muster. Alle Arbeiten beziehen sich auf die Offenheit, Transparenz und Struktur des Hauses – sowie des Internets – und spielen indirekt mit der Architektur und Geschichte des Ortes.
100 Jahr nach Malewitsch ist es weiterhin nicht einfach ein Quadrat zu malen – sein schwarzes Quadrat auf weißem Grund aus dem Jahr 1915 ist ein Meilenstein der Moderne, dessen Kraft Generationen von Künstlern und Kunsthistorikern beschäftigt. Previdi traut sich auf der nördlichen Glasfassade des Lichthauses ein Quadrat aufzubringen, das trotz seiner monumentalen Maße von 7×7 Meter ein Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelt. Einerseits schwebt es, andererseits rahmt und hält es die Fassade zusammen. Plötzlich entsteht daraus ein digitales verpixeltes Bild: das Quadrat verwandelt das Lichthaus zum Bildschirm, die Besucher werden Akteure und die beschriftete Fassade zum Abspann seines neuen Films.
Die Arbeit „Bacterio“ ist ein Pattern, das Ende der 70er Jahre vom Designer Ettore Sottsass für die Büromöbel von Olivetti (Ital. Computerfirma) entwickelt wurde. Das Bacterio-Motiv in der Ausstellung wurde von Previdi verändert, auf Werbebanner gedruckt und aus Deckenhöhe runtergerollt. Es bewegt den Blick in der Vertikale, wo eine Verdichtung des Motivs entsteht und sich in den Wolken auflöst. Sicherlich wird dieses Dekomuster in der Internetwelt heute anders wahrgenommen – da werden Bakterien und Viren vermieden. Previdi spekuliert mit diesem Störfaktor und bietet damit eine zusätzliche Struktur zur visuellen Erschliessung der räumlichen Komposition.
Internet kann Grenzen bewegen und aufheben, aber auch neue Grenzen aufstellen. Previdis Gitternetz im Zentrum des Lichthauses entfaltet sich im Raum wie eine virtuelle Welt innerhalb der Realen. Die „Google Farben“ leuchten in vier Neons und kreuzen wie Schwerte das Netz durch. Am Ende des Netzes liegt wie gefangen noch ein Bild – mit einem deformierten Motiv aus Arnsberg, das Fragen auf die Zukunft des Orts aufstellt.
Das Spiel mit Assoziationen zweier so unterschiedlicher und unvergleichbarer Subjekte wie ein Klosterhaus und das Internet schafft eine unerwartete Spannung – Previdi spricht mit „Chrome“ relevante Probleme unserer Medienkultur an, verwandelt das Lichthaus zum Bildschirm und dehnt den historischen Kontext des Klosterarchivs aus.
Riccardo Previdi wurde 1974 in Milan geboren und lebt in Berlin. Seine Arbeiten waren zu sehen in De Vleeshal Middelburg (2009), Kunsthalle Andratx Mallorca (2009), Manifesta VII (2008), MART Rovereto (2008), MAMPF Bologna (2009), MARTA Herford (2008) und ArtBasel Statements (2007).