At A Moment In Time
Jahresgaben 2020
24. März – 16. Mai 2021
Mit Albrecht/Wilke, Solweig de Barry, Kristina Berning, Brad Downey, Ossian Fraser, Lena von Goedeke, Henri Haake, Aneta Kajzer, Lucia Kempkes, Matthieu Martin, Ana Lessing Menjibar, Ariel Reichman, Maximilian Rödel, Jan Vormann und Felix Kiessling
Der Kunstverein Arnsberg freut sich mit „At A Moment In Time” nun – pandemiebedingt um mehrere Monate verspätet – seine Jahresgaben aus 2020 zu präsentieren. Der Titel spielt bewusst auf die bekannte Märchenformel an, die mit „Once upon a time…“ Geschehen in einer unbestimmten Vergangenheit verortet. Während einige Arbeiten in der Ausstellung durchaus Fiktionen entwerfen, sprechen die Werke zum Großteil von einem konkreten Zeitpunkt im Weltgeschehen. Sie sind als Reaktionen auf reale Ereignisse und unsere Gegenwart zu verstehen.
Die Ausstellung blickt auf ein reges Programm in 2020 zurück, das trotz der besonderen Umstände realisiert wurde und immer wieder nationale Aufmerksamkeit erregt hat. Mit Brad Downey, Lucia Kempkes, Ossian Fraser, Kristina Berning, Ana Lessing Menjibar und Ariel Reichman hat der Kunstverein auch im letzten Jahr aufstrebende Positionen präsentiert und den Künstler*innen teils zum ersten Mal einen größeren, institutionellen Auftritt in Deutschland gegeben. In „At A Moment In Time“ werden Arbeiten aus den vergange-nen Ausstellungen mit neuen Werken dieser Künstler*innen kombiniert. Wir freuen uns zudem erstmals die malerischen Positionen von Albrecht/Wilke, Solweig de Barry, Aneta Kajzer, Henri Haake und Maximilian Rödel im Kunstverein zu zeigen. Auch Lena von Goedeke, Matthieu Martin und Felix Kiessling präsentieren ihre Arbeiten erstmals in Arnsberg. Das Programm wird schließlich mit einer bereits vertrauten Position, nämlich Werken von Jan Vormann abgerundet.
Zu sehen sind u.a. neue Arbeiten aus Brad Downeys „Melania“-Serie (seit 2019), in deren Zentrum die Produktion des ersten Denkmals für Melania Trump steht. In Arnsberg ist eine Bronzeminiatur (2020) der Holzskulptur zu sehen, die nahe des slowenischen Geburtsortes der ehemaligen US-amerikanischen First Lady aus einem lebenden Baum gesägt wurde. Downeys „Melania“-Monument wurde am 4. Juli 2020 – dem amerikanischen Unabhängigkeitstag – in Brandt gesteckt. Von der entstellten Figur zeugt das Portrait (2020) zur Linken der Bronze.
Auch Ariel Reichman reagiert mit Skulpturen im Außenraum auf das weltpolitische Geschehen und dabei insbesondere auf die Allgegenwärtigkeit des Krieges in Israel. Seine Installation „Playground“, die 2020 im Rahmen seiner Solo-Ausstellung „In Limbo“ realisiert wurde, ist noch bis Oktober 2021 in der Ruhraue zu sehen. In der Ausstellung finden sich zudem Bilder aus seiner Gemäldeserie „Clouds“ (2016), die ebenso wie die Außenskulpturen auf Reichmans persönliche Geschichte, auf das Erscheinungsbild des Krieges in Israel und die Erfahrungen des Künstlers im israelischen Militär verweisen.
Der Künstler Jan Vormann ist in Arnsberg ebenfalls durch eine Arbeit im Stadtraum bekannt. Die mit Klemmbausteinen restaurierte Mauer am Steinweg, die im Rahmen seines Projekts „Dispatchwork“ realisiert wurde, gehört längst zum Stadtbild. Im Kunstverein sind nun Arbeiten aus seiner neuen Werkserie „Berliner Reichsformat / Berlin Bricks“ (2020) zu sehen. Auch hier setzt der Künstler gefundene und historische Bausubstanz – in diesem Fall einzelne Backsteine und Relikte des ehemaligen Deutschen Kaiserreichs – mit Plastikbausteinen in Stand.
In der Duo-Ausstellung „Mount Analogue“ waren 2020 Arbeiten von Lucia Kempkes und Ossian Fraser zu sehen, die sich mit dem Konzept Landschaft und insbesondere der Faszination für die Berge auseinandersetzen. Beide Künstler*innen haben nun in Folge dieser Ausstellung neue Editionen herausgeben: In Kempkes‘ Fotocollage „Arnsberger Alpen“ (2020) manifestiert sich wie in Zeiten eingeschränkter Bewegungsfreiheit zumindest das geistige Reisen, das Wegträumen, möglich bleibt und neue Perspektiven eröffnet. Mit der Serie „To Protect Us From What We Seek“ (2020) konzentriert sich die Künstlerin auf die speziell für das unmittelbare Naturerlebnis entwickelte Outdoorausrüstung und -bekleidung. Ihre aus Seidenpapier gefertigten Skulpturen – eine Daunen- und eine Barbourjacke – führen dabei nicht zuletzt vor Augen wie schutzbedürftig der moderne Mensch, dessen Lebensweise sich immer weiter von der Natur entfernt, selbst im Alltag ist. Die Fotoarbeiten von Ossian Fraser kontrastieren hingegen natürliche Landschaften mit geometrischen Formen – mit Kreis und Quadrat, die sich als Grundbausteine der menschlichen Kultur und unserer gebauten Umwelt verstehen lassen. Während der Großteil seiner Arbeiten im Rahmen einer Residency in den Schweizer Alpen entstanden ist, thematisiert die Fotoserie „Mountain Of The Mind“ die stereotype Darstellung des Berges als Emoji. Sie zeigt die gleichnamige Außenskulptur, die 2020 im Garten des Kunstvereins installiert war.
Auch die Skulpturen von Kristina Berning aus der Serie „Digging Sculptures“ wurden durch eine real existierende Landschaft inspiriert: Die schwedische Insel Gotland wird kontinuierlich aus dem Meer gehoben, wobei die Brandung seit 490 Millionen Jahren die herauswachsenden Felsen umspült und bearbeitet. Nur einzelne Felstürme, die sogenannten Raukar, konnten den Meeresgewalten widerstehen. Wie einsame Riesen hüten sie den Strand und formen surreale Landschaften. Die Spiegelfläche in der Ausstellung greift die Installation auf, die Berning 2020 für das Lichthaus entwickelt hat.
Die Skulpturen werden in der Ausstellung in unmittelbarer Nähe der Arbeit „Antisonne“ (2021) von Felix Kiessling präsentiert, die sich ebenfalls auf ein Naturereignis bezieht: Die Lichtskulptur erhellt nur bedingt den Raum, denn die Lichtquelle wird von einem schwarzen Kreis verdeckt. Es entsteht ein kreisrunder Schein, eine Lichtreflexion, die von der Wand zurückstrahlt und an die Corona einer totalen Sonnenfinsternis erinnert.
Auf konzeptueller Ebene nehmen schließlich auch die Gemälde von Maximilian Rödel Bezug auf die Natur und die Umgebung des Malers. Die in der Ausstellung gezeigten Bilder – darunter auch das herausfordernd grüne und großformatige Bild „Legendary Natur II“ – lassen sich als Eindrücke einer Reise verstehen, die der Maler 2020 unternommen hat. Zu sehen sind keine figürlichen Kompositionen, sondern vielmehr beinahe monochrome Farbräume.
In den Gemälden von Albrecht/Wilke, Solweig de Barry, Aneta Kajzer und Henri Haake lassen sich hingegen Verweise auf unsere Gegenwart erkennen. So etabliert das Maler-Duo Albrecht/Wilke eine Art deutschen Mittelstandspop und versammelt das dazu gehörige, bunte Spektrum symbolträchtiger Gegenstände und kulinarischer Finessen – das Handtuch zum Reservieren von Liegestühlen, den Gartenzwerg, Leberkäsesemmeln, Rollmops oder Toast Hawaii – in ihren Bildern.
Auch die Zeichnungen und Gemälde von Henri Haake zeigen wie aufmerksam der Maler unsere Realität beobachtet. Mit spielerischer Leichtigkeit erzählt Haake in Fragmenten vom menschlichen Dasein zwischen Freude und Melancholie und schafft dabei bewusst einen Kontrast zur aktuellen, weltpolitischen Situation.
Wie Haake greift auch Solweig de Barry in ihren Bildschöpfungen auf persönliche Erinnerung und ihren privaten Bilderfundus zurück. Ihre Gemälde betonen die Flüchtigkeit des Erlebten. De Barry setzt Figuren und Gegenstände unbestimmt, flächig und mit Gestus auf die weiße Leinwand. Die Szenen werden ihrem Kontext entrissen und an einen Ort transferiert, an dem Zeit und Raum vergessen scheinen.
Die Gemälde von Aneta Kajzer verweisen schließlich nur noch schemenhaft auf eine Realität außerhalb des Bildes. Form und Farbe, Figuration und Abstraktion fließen ineinander. Was uns aus ihren Bildern entgegenblickt, ruft die fiktiven Charaktere aus Comics und Zeichentrick in Erinnerung, die Kajzers Jugend geprägt haben. Dabei zeigen die ungeplant und im Prozess entstandenen Gemälde etwas zutiefst Menschliches: Nämlich das Bedürfnis, Köpfe, Augen und Nasen – also Gesichter und damit ein Gegenüber zu erkennen. In dieser Suche nach Nähe und Gleichgesinnten gestaltet sich selbst das Groteske und Monströse liebenswert.
Auf Monster bezieht sich auch Ana Lessing Menjibar in ihrer Performance „Perpetual Archive“ (2020), die 2020 in der Kulturschmiede im Rahmen des Arnsberger Kunstsommers aufgeführt wurde. Im Kunstverein ist nun eine Videodokumentation der Performance zu sehen. In „Perpetual Archive“ tritt Lessing Menjibar eine kollektive energetische und emotionale Reise an. Sie eröffnet einen Raum, eine poetische Welt zwischen Formalität und Ekstase. Elemente des zeitgenössischen Flamencos fließen dabei ebenso ein wie Referenzen auf den Radierungszyklus „Los Caprichos“ (1797–99) und dabei insbesondere auf das Blatt „The Sleep of Reason Produces Monsters“ von Francisco de Goya. Der Körper, seine internen und externen Geräusche, werden zur Quelle von Klang und Rhythmus, die in Dialog mit der elektronischen Musik von Philipp Kullen treten.
Die Arbeiten von Lena von Goedeke deuten hingegen vehement auf unsere Gegenwart. In ihrer sechsteiligen Serie „Transmissions“ (2020) konzentriert sich die Künstlerin auf zwei Aspekte, die das Leben seit Ausbruch der Corona-Pandemie maßgeblich bestimmen: Nachrichten und Hygiene. Die unbefleckten, weißen Handtücher in der Ausstellung wurden mit Inhalten von Newstickern aus den Tagen des ersten Lockdowns im vergangenen Frühling bestickt.
Den Aspekt der Sicherheit greift auch Matthieu Martin in seiner fortlaufenden Serie „Principe de Précaution“ (seit 2012) auf. Der reduzierte und technische Charakter der kleinformatigen Papierarbeiten, erinnert an Architekturzeichnungen und lässt Details aus den Ausstellungsräumen verschiedener, international renommierter Museen in den Vordergrund treten: die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Kunstwerke. In Martins Arbeiten wird die Szenerie jedoch ad absurdum geführt, denn die Kunstwerke fehlen. Zu sehen ist der leere White Cube. Aus heutiger Perspektive werden Martins Arbeiten damit zum Sinnbild für den pandemiebedingten Stillstand von Kunst- und Kultur. Nicht die Kunst, sondern die Sicherheit steht hier im Vordergrund. Die in den Zeichnungen versammelten Sicherungs-Arrangements erscheinen schließlich selbst als minimalistische Installationen.
Kuration & Text: Lydia Korndörfer