PROTOTYPEN UND ANDERE SELTSAME DINGE
Jahresgaben 2023/2024
1. Dezember – 28. Januar 2024
Aram Bartholl, Rana Hamadeh, Neda Saeedi, Marco Bruzzone, Aaajiao, Malte Bartsch, Thomas Kiesewetter, Jeewi Lee, Farkhondeh Shahroudi, Viron Erol Vert, Solweig de Barry, Sarah Kirsch
Wenn Künstler*innen nach neuen Ideen suchen, erforschen sie Formen und Gestalten, um ihre Gedanken auszudrücken. Oft lassen sie sich von bestehenden Dingen inspirieren und bringen sie in unerwartete Konstellationen. Neue Bedeutungen und Verständnisse der Welt, in der wir leben, kommen so zum Ausdruck. Kunst entwickelt sich zur Formbehauptung. Das Erstellen eines künstlerischen Prototyps oder ein Prozess, den wir Materialisierung nennen, ist dafür ein Schritt zwischen der Formalisierung und der Bewertung einer Idee. Sie ermöglichen die Projektion und Imagination in etwas, das viel größer ist als die Dinge selbst. Für die diesjährigen Jahresgaben 2023/2024 haben wir eine Auswahl von Arbeiten getroffen, die sich mit dieser Materialisierung künstlerischer Alternativideen befassen und sowohl nach innen als auch nach außen schauen. Sie sind Gedankenkörper und Schritte, um Ideen neue Formen zu geben, die wiederum neue Anfänge und Orientierung in einer Welt ermöglichen, in der wir uns in zu vielen Bedeutungen verloren haben.
Aram Bartholl ist ein Konzeptkünstler, der für seine Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen der digitalen und der physischen Welt bekannt ist. Seine Kunst-Emojis sind sein Beitrag zu dieser Ausstellung, in der sich die scheinbar einfachen Objekte mit komplexen Themen befassen, die mit sozialen Netzwerken, Online-Plattformen und digitalen Vertriebsstrategien zusammenhängen, und uns dazu zwingen, unsere Wahrnehmung und unseren Umgang mit diesen allgegenwärtigen Entitäten zu überdenken.
Von der Künstlerin Rana Hamadeh zeigen wir ihre neu produzierten Seidendruckstudien, die Anfang des Jahres vorgestellt wurden. Diese digital hergestellten Seidendrucke zeichnen die digitalen Codes oder das Backend ihres Animationsfilms Standard_Deviation nach. Die an abstrakte Malerei erinnernde Übersetzung der dicht kodierten Bilder, Räume und Motive in die weiche Haut der Seide ermöglicht eine andere materielle Auseinandersetzung mit der digitalen kodierten Sprache.
Neda Saeedis Parasitoid Cell of desirable future (2019 – laufend) ist eine installative Arbeit, die aus Schneekugeln mit Miniaturskulpturen besteht, die auf Plexiglastischen platziert sind und eine Viruszelle oder eine prototypische Molekularstruktur bilden. Als Teil eines Langzeitprojekts, das sich mit dem Begriff des Gärtnerns und seiner kolonialen und imperialen Dimension befasst, untersucht die Arbeit das Aufkommen von Gartenvideospielen, von denen die meisten das Wachstum und die Kultivierung gegenüber den traditionelleren Themen der Branche wie Konflikt und Herausforderung in den Vordergrund stellen. In den Kristallkugeln befinden sich Figuren aus „Starcraft“, wobei die Spieler als Roboter-Astrobiologen auf einem fremden Planeten erscheinen, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Blüte der bizarren, sanft gewellten Pflanzen zu fördern.
Von Marco Bruzzone präsentieren wir eine neue Serie namens Crab Shelters, eine Studie für ein System von Markisen und Unterständen für die kanadische Apotheke.
Die Serie Membranization von Aaajiao untersucht, wie das Selbst als Beobachter mit dem Selbst zurechtkommt, das den Schmerz durch die Völlerei verschlingt.
Malte Bartsch beschäftigt sich mit der ambivalenten Beziehung zwischen Mensch und Maschine, bis hin zu unserer veränderten Wahrnehmung von Zeit, die nach Aussage des Soziologen Hartmut Rosa auf einer „technisch beziehungsweise ökonomisch induzierten Beschleunigung“ basiert. In seiner Edition, bestehend aus fünf Unikaten, brennt Bartsch in die eigentümlichen Edelstahlplatten von Wärmetauschern lachende Emojis. Anstelle der ursprünglichen Funktion, thermische Energie umzuwandeln, werden die Leiter zur Oberfläche für den Austausch stilisierter Emotionen unserer alltäglichen, digitalen Kommunikation. Thomas Kiesewetter entwirft abstrakte, fast schon dekonstruktivistische Skulpturen. Er verwendet industrielles Material, vorwiegend Metallblech, das er spielerisch biegt und faltet. Die zusammengeschraubten und in leuchtenden Farben angestrichenen Einzelteile erwecken in ihrer Gesamtheit Gedanken an modernistische architektonische Formen.
Jeewi Lee’s Sandbilderserie Fields of Fragments (30 x 40cm, und 40 x 50cm) erforschen das Medium der Malerei durch Konzept und Material, durch An- und Abwesenheit. Sie funktionieren auf einer Art auch als materielle Weltarchive. Zusätzlich zeigen wir auch eine Auswahl aus dem Projekt Ashes to Ashes (2018). Sie fertigte Seifenskulpturen aus natürlichen Ölen sowie aus Partikeln der verbrannten Bäume des toskanischen Waldes.
Farkhondeh Shahroudi zeigt verschiedene analoge Fotografien als Selbstporträts, eine Selektion von Stoffmasken (Instant Message, 2009) die eine Öffnung innehaben worauf auf Farsi nicht-existierende Worte genäht sind, neben eine Malerei (Bilder im Vorhang, 2000).
Viron Erol Verts unterschiedlich farbige Malereien, die im Bereich des figürlich Abstrakten aus der Farbe und der Fläche herausgeschöpft sind, sammeln, überlagern und manifestieren verschiedene Gedanken- und Erinnerungsskizzen. Es handelt sich somit um eine nicht gedachte, nicht bewusste Malerei, die versucht, sich im Moment des geistigen und seelischen Dazwischenseins auf der Leinwand in verschiedenen Lagen künstlerisch zu manifestieren.
Solweig de Barry greift in ihren Bildschöpfungen auf persönliche Erinnerung und ihren privaten Bilderfundus zurück. Ihre Gemälde betonen die Flüchtigkeit des Erlebten. De Barry setzt Figuren und Gegenstände unbestimmt, flächig und mit Gestus auf die weiße Leinwand. Die Szenen werden ihrem Kontext entrissen und an einen Ort transferiert, an dem Zeit und Raum vergessen scheinen.
Sarah Kirsch erforscht in ihren Gemälden eine mehrdeutige Art von Spiegel der Innenwelt mit der äußeren Umgebung eines jeden Menschen. Ihre Arbeiten sind poetisch und verbinden eine abstrakte Konkretheit mit einer verträumten Welt aus realen Gefühlen und alltäglicher Umgebung.
Photodokumentation: Heiner Lieberum